Ilse Reimann

 

 

Die fokussierte Tiefenanalyse:

 

 

Der Weg zum Glück

 

               oder

 

Das verletzte Selbst und seine Heilung

 

 

                         

  1. Das Verstehen
  2. Die Entschlüsselung
  3. Das Wiedererkennen
  4. Die Überprüfung
  5. Das Staunen
  6. Die Erleichterung
  7. Die Befreiung

 

Einleitung

 

Was ist unter dem Begriff „das verletzte Selbst“ zu verstehen?

 

Seit den letzten Jahrzehnten leiden ungewöhnlich viele Menschen in Europa vermehrt unter psychischen Problemen, welche die Betroffenen in einer besonderen Weise umschreiben.

 

Sie leiden an Gefühlen innerer Leere, Verunsicherung, Depression, Schuld, Scham, Kränkbarkeit, Ängsten und Desorientierung.

 

Diese belastenden Empfindungen wirken sich auch oft körperlich aus. Erschöpfung, Nervosität, Konzentrationsstörungen, Schwäche, erhöhte Empfindlichkeit, Unruhe und Reizbarkeit behindern die Lebensqualität erheblich.

 

Kopfschmerzen, Magenbeschwerden, Herzklopfen und eine gesteigerte Anfälligkeit für Krankheiten können die Probleme weiter verstärken.

 

Die verschiedenen Phänomene zeigen sich in unterschiedlichster Kombination und Intensität und können auch mit Suchtproblemen oder einer Neigung zu zwanghaften Handlungen verknüpft sein.

 

Vielfach berichten die Betroffenen von Gefühlen einer bedrohlichen inneren Auflösung oder einer unangenehmen Distanz zur Welt und anderen Menschen.

 

In der Tiefenanalyse zeigte sich, dass diese Probleme durch verletzende Erfahrungen mit wichtigen anderen Menschen entstanden. Meist schon in frühester Kindheit.

 

Verletzungen die nicht heilen konnten und darum noch immer vorhanden sind.

 

Oft werden die Betroffenen aufgefordert sich doch einfach mehr zu beherrschen. Diese Empfehlung ist aber so wenig hilfreich, als würde man Menschen mit gebrochenen Beinen zum Gehen auffordern.

 

Die seelische Verletzung ist eine Realität und kann nicht geleugnet werden und in vielen Fällen hilft nur eine geeignete Therapie. Diese Therapie bedarf einer entsprechend sensiblen und zielgerichteten Tiefenanalyse, welche auf die reale Verletzung eingeht. Dies ist unverzichtbarer Bestandteil des Heilungsprozesses.

 

Dieser Heilungsprozess soll hier im Folgenden beschrieben werden.

  

                   Das verletzte Selbst und seine Heilung

 

 

1. Das Verstehen (erste Phase: Wahrnehmung der Gefühle und Leidmilderung) 

 

 

Der Heilungsprozess ist nur möglich, wenn der Klient in seinen Gefühlen ernst genommen wird. Die Gefühle sind eine Realität und schmerzende, leidvolle Gefühle können das Leben massiv erschweren. Der Klient erzählt und der Therapeut hört konzentriert zu und gibt aktives Feedback. Dadurch kann der Klient sehen ob er verstanden wird. Das schafft eine gemeinsame Basis des Vertrauens und ermöglicht dem Klienten über die Stellen im Problemzusammenhang zu sprechen, die ihm als wiederkehrende schmerzende und irritierende Gefühle und Situationen aufgefallen sind und die er verstehen und auflösen will.

 

Im analytischen Dialog können Klient und Therapeut das verletzte Selbst besser kennen lernen und verstehen. Wenn es wiederkehrende schmerzende und irritierende Gefühle gibt ist anzunehmen, dass diese durch aktuelle oder frühere Verletzungen verursacht sind.

 

Diese Verletzungen mussten von der Psyche abgewehrt werden. Die Psyche hat darum Schutzmechanismen entwickelt. Diese Schutzmechanismen sind in die psychische Struktur integriert. Sie sind damit zu einem wichtigen Bestandteil des individuellen Charakters geworden. Dies gilt es zu verstehen.

 

Therapeut und Klient können zusammen herausfinden wodurch diese schmerzenden und irritierenden Gefühle und Situationen ausgelöst werden. Im gemeinsamen analytischen Dialog können Klient und Therapeut die individuellen psychischen Strukturen kennen- und verstehen lernen. Das Verstehen des eigenen Charakters ermöglicht Heilung.

 

In der gemeinsamen tiefenanalytischen Arbeit wird die individuelle psychische Struktur nachvollziehbar und es zeigt sich in kleinen Schritten der Heilungsweg.

 

Dadurch, dass psychische Gesamtzusammenhänge deutlich werden, kann bis dahin Unverständliches integriert werden.

 

Dies ist kein rein kognitiver Prozess. Wesentlich ist das emotionale Verstehen und das ist körperlich spürbar. Es zeigt sich sehr oft in einem tiefen Aufatmen. Die Anspannung des Klienten fällt ab. Dies ist der erste Schritt der Heilung.

 

Bis dahin quälend wiederkehrende und unverständliche Probleme zeigen sich in ihrem Sinnzusammenhang. Vorher teilweise rätselhafte und leidvolle psychische Reaktionen werden nachvollziehbar. Dadurch wird eine Integration der vom Unbewussten gesteuerten Schutzmechanismen möglich. Dies entwickelt sich in dem gemeinsamen tiefenanalytischen Prozess zwischen Klient und Therapeut.

 

Es schenkt dem Klienten erste Erleichterung wenn der Bedeutungszusammenhang der Probleme und Gefühle sichtbar wird. Der Klient kann die reale Verletzung erkennen und verstehen. Dadurch erschließen sich neue Wege. Im analytischen Prozess können die ungünstigen Verstrickungen aufgedeckt werden. Dies ermöglicht es die schmerzenden Verknüpfungen in kleinen Schritten zu lösen.

 

Nehmen wir an, der Klient leidet an Depressionen, die arbeitshemmend wirken. Schon die Möglichkeit über die Probleme mit einem verständnisvollen Zuhörer zu sprechen lindern die schmerzlichen Gefühle. Wenn die meist sehr kompliziert ineinander greifenden Zusammenhänge in einer vertrauensvollen Atmosphäre gemeinsam angeschaut werden können, stärkt und unterstützt dies den Klienten.

 

Komplizierte, meist immer wiederkehrende und den Klienten lähmende und blockierende Situationen und Gefühle werden in kleinen Schritten verständlicher. Der Klient beginnt zu verstehen was ihn lähmt und schmerzt.

 

Depressionen entstehen oft durch seelische Verletzung.

                   Diese Verletzung gilt es zu heilen.

 

Vieles heilt von selbst. Erst ab einer zu starken Belastung reagieren wir mit psychischer Erkrankung.

 

In jedem Lebewesen wirken selbständig verschiedenste Mechanismen, die das Leben sichern. Wir können leben ohne uns bewusst um Atmung, Verdauung, Blutkreislauf und anderes zu kümmern.

 

Auch auf der psychischen Ebene regeln sich die Prozesse des Lebens und der Gefahrenabwehr selbständig und von uns oft unbemerkt. Wir beginnen zu leiden, wenn die Verletzung zu groß ist und der Heilungsprozess nicht mehr wie von selbst funktioniert.

 

Ab diesem Zeitpunkt kann es notwendig werden, sich dem Geschehen bewusst zuzuwenden und Hilfe zu suchen. Wir gehen zu einem Arzt oder Psychotherapeuten.

 

Sowohl im körperlichen als auch im seelischen Bereich ist es dann wichtig, herauszufinden, welche Prozesse nicht mehr reibungslos laufen. Wenn die erkrankten psychischen Strukturen gefunden sind ist schon die erste Stufe des Heilungsprozesses erklommen.

 

Ein wichtiger unbewusster Prozess der Gefahrenabwehr ist die Verdrängung oder Abspaltung. Der Unterschied zwischen Verdrängung und Abspaltung ist ein gradueller. Bei besonders schmerzhaften und bedrohlichen Problemen entstehen eher Abspaltungsprozesse. Dies erklärt sich in der Wirkung. Verdrängung und Abspaltung verbergen dem Bewusstsein die eigenen Gedanken wenn diese nicht verkraftbar sind. Abspaltung verbirgt aber diese Gedanken sicherer als bloße Verdrängung.

 

Um es auf den Punkt zu bringen:

 

Die Verdrängung oder Abspaltung ist ein lebensnotwendiger Schutzmechanismus der den Menschen vor zerstörerischen Schmerzen bewahrt.

 

Das gibt es auch im körperlichen Bereich. Wenn eine Verwundung zu existenziell ist, kann es sein, dass der Verletzte ohnmächtig wird. Das ist ein ähnlicher Schutzmechanismus wie bei einer psychischen Verdrängung. Der Organismus schützt sich vor Unbewältigbarem. Durch diesen Schutzmechanismus wird Zeit gewonnen. Später wenn sich die Lage verbessert hat, ist dann eine hilfreiche Reaktion besser möglich.

 

Auch bei der psychischen Verdrängung oder Abspaltung entsteht dieser schonende Zeitgewinn. Später, wenn der Betroffene in einer besseren Lage ist, kann das Problem aufgearbeitet werden. Das meint Verdrängungen oder Abspaltungen verschaffen dem Menschen Aufschub. Das Problem wird sozusagen vertagt. Wenn sich die Umstände verbessert haben kann es bearbeitet werden.

 

Die Psyche entwickelt nichts Unnötiges. Im Gegenteil, die Psyche arbeitet sehr effektiv. In selbständig ablaufenden von uns unbemerkten extrem schnellen Reaktionen. Sie schützt und erhält unsere seelische Gesundheit.

 

Schutzmechanismen verschiedenster Art dienen dem Ziel, Bedrohung abzuwehren und uns vor Schaden zu bewahren. Genau gesprochen ist die Psyche stets bestrebt, den innersten Teil des Selbst, das Kernselbst, zu retten. Bei schweren seelischen Verletzungen sichert sie als erstes das Überleben.

 

Hier soll nun an einem Fallbeispiel erklärt werden wie dies geschieht.

 

Nehmen wir an ein Kind hat Eltern, die durch eigene Probleme daran gehindert sind sich in der notwendigen Weise um ihr Kind zu kümmern. Vielleicht verhalten sie sich zu kühl und schenken dem Kind nicht die nötige emotionale Geborgenheit. Das kann bei dem Kind den Eindruck erwecken es würde nicht geliebt. Wenn ein kleines Kind dies aber so erlebt erschreckt es sich zutiefst. Denn die Eltern sind für ein Kind alles. Es hat noch nicht das Wissen und die Fähigkeit zu relativieren und zu differenzieren. Desto jünger das Kind ist desto weniger stehen ihm solche Möglichkeiten zur Verfügung. Seine Einschätzung der Situation ist darum eher grundsätzlich und seine Empfindungen entsprechend intensiv. Wenn es also die Kühle seiner Eltern als mangelnde Liebe erlebt, wird es sich massiv erschrecken und sich extrem einsam und verlassen fühlen. Dies wiederum löst intensive Empfindungen von Gefahr und Schutzlosigkeit aus. Denn es fühlt sich nicht mehr in sicherer Obhut.

 

Diese Gefühle sind für ein kleines Kind nicht zu ertragen. Sie würden das Kind in gefährlicher Weise fluten. Darum reagieren die unbewussten psychischen Schutzmechanismen mit Verdrängung oder wenn die Gefühle zu bedrohlich werden mit Abspaltung. Doch die Psyche kann nur Gedanken verdrängen, nicht Gefühle. Das meint nur die kindliche Einschätzung: “Ich werde nicht geliebt“ wird ins Unbewusste verdrängt. Die Gefühle die bis zum Verdrängungsmoment entstanden bleiben. Sie werden nur nicht mehr stärker. Doch die vernichtende Überflutungsgefahr durch Angst und Schmerz ist gebannt.

 

Die bis dahin entstandenen Gefühle von Einsamkeit und Gefahr erklärt sich das Kind nun anders, aber ebenfalls in seiner ihm angemessenen kindlichen Weise. Irgendetwas in seinem näheren Umfeld muss schuld an dem bedrohlichen Gefühl sein. Vielleicht denkt es, es läge am Bruder, oder es hat Angst vor der Nacht, oder vor dem Keller oder es kann nicht mehr alleine sein. Die Möglichkeiten sind vielfältig und werden aus dem unmittelbaren Lebenszusammenhang geschöpft.

 

Die Verdrängung bewirkt also eine Verringerung negativer Gefühle und dient dadurch dem Leben.

 

 

Allerdings bleibt ein zwar überlebbares aber doch beeinträchtigendes Gefühl von Traurigkeit und Einsamkeit.

 

Die Depression.

 

Die Verdrängung als Schutzmechanismus ist also nur ein Notbehelf. Allerdings ein Notbehelf der das Überleben sichert und damit das Wichtigste.

 

Dennoch ist das Leben mit der Verdrängung ähnlich holprig und mühsam als wenn man nach einem platten Reifen beim Auto mit dem Ersatzrad auf Dauer weiterfahren wollte. Besser für das Wohlbefinden ist es selbstverständlich, wenn die Depression geheilt wird.

 

Dies ist mit sensibler Wahrnehmung und präziser, einfühlsamer Analyse möglich.

 

Die psychische Verletzung ist eine ernstzunehmende Wunde. Um sie zu heilen bedarf es höchster Genauigkeit.

 

Ein Kind hat diese Möglichkeiten nur bei entsprechender Hilfe. Die Verdrängung als Notbehelf zum zeitgewinnenden Überleben ist darum eine geniale natürliche Leistung der Psyche.

 

Selbstverständlich ist es sinnvoll, die verdrängten unbewussten Gedanken sobald wie möglich durch eine Therapie wieder ins Bewusstsein zurückzuholen, damit sie gelöst werden. Denn sie wirken auch im Verborgenen des Unbewussten weiter. Da das Unbewusste nicht der prüfenden Kraft des Bewusstseins unterworfen ist, entwickeln sich daraus oft Gefühle und Reaktionen, die unverständlich und seltsam anmuten und das Leben erheblich stören.

 

Doch um es noch einmal zu verdeutlichen: Der psychische Schutzmechanismus der Verdrängung ist nicht die Ursache des Problems. Er ist zwar nur ein natürlicher Notbehelf. Aber er hat das Überleben gesichert.

 

Letztendlich ist aber die Verletzung die Ursache des Leidens. Die Verletzung hat die psychische Struktur beeinflusst und verursacht die Schmerzen. So wie auch vernarbte körperliche aber noch nicht ausgeheilte Wunden schmerzen können.

 

Um das Leiden zu heilen ist es darum wichtig sich darauf zu besinnen, was der Notbehelf der Verdrängung nicht bewältigen konnte und das sind die übrig gebliebenen Gefühle und die Gedanken die ins Unbewusste verbannt wurden.

 

So ist auch der zweite Schritt im therapeutischen Prozess die achtsame Wahrnehmung der Gefühle und das genaue Hinhören auf die unbewussten Gedanken.

 

Diese gilt es zu bergen und dem Bewusstsein wieder zur Verfügung zu stellen. Natürlich löst dies Ängste aus. Die verbannten Gedanken wurden schließlich nicht ohne Grund ins Unbewusste verdrängt. Sie wurden auf Grund ihrer zerstörerischen Kraft weggedrückt.

 

Doch nun ist der Klient erwachsen. Er ist gestärkter denn er ist nicht mehr in der realen Abhängigkeit des Kindes von seinen Eltern. Zudem hat er nun die geistige Fähigkeit zur differenzierten genauen Betrachtung. Es ist darum möglich die alte Verletzung zu orten, damit sie heilend versorgt werden kann.

Die schmerzlichen Gefühle und scheinbar unverständlichen Gedanken und Reaktionen können sich lösen.

 

Im geschützten Rahmen einer Therapie findet der Klient die nötige Unterstützung; darum sind die Gegebenheiten zur Heilung günstig.

 

Das Heilungsgeschehen im analytischen Prozess soll nun genauer geschildert werden.

 

Zur Erinnerung:

Die erste Stufe ist die des einfühlsamen Verstehens,

im zweiten Schritt geht es um die sensible Wahrnehmung der verletzten Gefühle und um die Bergung der ins Unbewusste verdrängten Gedanken.

 

Denn diese Gedanken bleiben nicht statisch. An unbewusste Gedanken knüpfen sich sofort weitere unbewusste Schlussfolgerungen. Ganze Gedankenketten und Verflechtungen entstehen. So ist auch zu berücksichtigen, dass die Verdrängung meist im frühen Kindesalter stattfand. Zum Beispiel bei dem oben angenommenen Fall einer Depression ist davon auszugehen, dass sich im weiteren therapeutischen Prozess komplexe Gedankenzusammenhänge und Gefühle zeigen. Das Kind wird wahrscheinlich nicht nur die Kühle der Eltern als mangelnde Liebe interpretieren und sich darum einsam und unbeschützt fühlen, sondern es entwickelt möglicherweise zusätzlich beträchtliche Schuldgefühle.

 

Denn wenn ein kleines Kind meint, dass die Eltern es nicht lieben, dann zweifelt es schnell an sich und meint das läge an ihm. Es denkt es sei nicht liebenswert. Denn das kleine Kind braucht und liebt die Eltern. Von ihrer Zuwendung ist es abhängig und es hat noch nicht die Fähigkeit elterliches Verhalten differenziert zu analysieren und in einen relativierenden Gesamtzusammenhang zu stellen. Die Gedanken- und Gefühlswelt eines kleinen Kindes bewegt sich darum zumeist im Grundsätzlichen. Das Kind denkt meist nicht „meine Eltern verhalten sich auf Grund eigener Probleme mir gegenüber kühl“, sondern „meine Eltern lieben mich nicht, ich bin also nicht liebenswert“.

Wenn aber ein Kind die Sorgen der Eltern wahrnimmt und sogar mit Rücksicht darauf reagiert, dann leidet es an dieser Überforderung und es ergeben sich daraus Probleme. Ein Kind braucht den Schutz elterlicher Geborgenheit. Wenn es elterliche Probleme beheben muss wird es überlastet. Das kann zum Beispiel zu großer Wut führen und sich daraus ergebender Schuld, gekoppelt mit Angst und Einsamkeitsgefühlen.

 

Doch hier soll zuerst an dem oben beschriebenen Fall aufgeschlüsselt werden, wie die therapeutische Arbeit verletzte Gefühle und verdrängte Gedanken birgt.

 

In der fokussierten Tiefenanalyse unterstützt auch das setting den Prozess der Rückbergung. Der Klient liegt empfehlenswerterweise auf der Couch. Allerdings nur wenn er dies nicht als bedrohlich oder sonst wie unangenehm erlebt. Das Liegen auf der Couch fördert zwar den Kontakt mit dem Unbewussten auf hilfreichste Weise, aber nur dann, wenn der Klient keine Probleme damit hat. Dann allerdings hilft die Couch bei der Konzentration auf das Wesentliche. Höflichkeitsfloskeln und sonstige den analytischen Prozess eher störende Rituale und Sitten können getrost zur Seite geschoben werden. Da man den Analytiker nicht sieht kann man ihn fast vergessen. Man kann sich ganz auf sich konzentrieren und kann es zudem wagen, Irrationales zu erzählen. Die dringend notwendige Regression in der Analyse kann beginnen und die unbewussten Gedanken nach oben spülen.

 

Der Prozess der Rückbergung nimmt seinen

Anfang.

 

Der Analysand erzählt und der Analytiker fühlt sich ein. In der fokussierten Tiefenanalyse übernimmt der                            Analytiker eine aktivere Rolle als üblich. Dies kann in Grenzen helfen den Weg ins Unbewusste leichter und                          schneller zu finden. Dennoch ist auch diese aktivere Rolle des Analytikers kein Garant für eine höhere                                    Beschleunigung des analytischen Prozesses. Wenn der Klient noch nicht so weit ist Deutungen anzunehmen,                       was der Analytiker zum Beispiel daran erkennen kann, dass der Klient den Faden verliert, das Thema wechselt,                  noch mal von vorne beginnt und anderes mehr muss der Analytiker das verstehend zur Kenntnis nehmen und auf             der Ebene weiterarbeiten, auf der der Klient sich befindet.

 

Er kann es immer mal wieder vorsichtig probieren einen neuen Anstoß zu setzen. Aber er muss dem Klienten die nötige Zeit lassen. Natürlich hat der Klient es offiziell und rational meist eilig. Aber wenn seine unbewussten Barrieren noch sehr gefestigt sind ist er schnell überfordert. Damit werden zwar widersprüchliche Wünsche an den Analytiker herangetragen, das ist aber in der der Arbeit mit dem Unbewussten normal.

 

Der Analytiker hat sozusagen zwei Auftraggeber. Die Ratio hat es eilig, denn der Klient leidet an der Depression. Aber das Unbewusste braucht viel Zeit um die Angst zu überwinden.

 

Denn um es noch einmal deutlich auszusprechen:

Die Verdrängung ins Unbewusste hat das Überleben gesichert, darum ist die Rückbergung vom Unbewussten ins Bewusste von Angst begleitet. Nur wenn diese Angst sich langsam wieder in Selbstvertrauen umwandelt kann die Verdrängung aufgelöst werden. Vorher fürchtet sich der Klient ungeheuer und vermutet tief in sich eine entsetzliche Wahrheit. Denn da die Erklärung für sein Leid durch die Verdrängung oder Abspaltung nicht erkannt werden kann entsteht der Verdacht, das Leid werde durch eine verborgene schreckliche Ursache ausgelöst. Erst wenn im analytischen Prozess Stabilisierung einsetzt wagt die Psyche kleine erste Schritte ins Reich des Verdrängten.

 

Wenn dann aber die ersten unbewussten Gedanken geborgen sind beginnt langsam die Erleichterung und auch der Wagemut.

 

Der Klient stellt Stückchenweise die Zusammenhänge her. Und die Ratio beginnt zu staunen. Der Schmerz kommt von einem Irrtum der Psyche in der Zeit. Der Klient kann es kaum glauben, spürt es aber deutlich. Die Qual, die er heute und schon immer spürt, ist der leidvolle Gefühlszusammenhang, der sich bis zur Abspaltung oder Verdrängung so bedrohlich zusammenbraute. Dieses von der der wahren Ursache sorgfältig abgetrennte Leid schmerzt, weil dadurch unverständlich, in besonders intensiver Weise und behindert das Leben nun manches mal sehr massiv.

 

Aber es soll nicht vergessen werden, dass es dennoch genau diese Verdrängung war, die das Überleben sicherte. Sie schaffte einen Zeitgewinn. Für das Kind wurde damit das Überleben möglich, das bessere Leben zu finden ist nun die Aufgabe des erwachsen Klienten.

 

Der Erwachsene hat die Möglichkeit sein breiteres Wissen anzuwenden und die damalige Situation in ihrer komplexen Zusammensetzung differenziert aufzuarbeiten und damit seinen intensiven Gefühlen die Möglichkeit zu geben sich mit den Gedanken zu vereinen von denen sie ausgelöst werden. Dieses Zusammenfinden der Gefühle mit den Gedanken ist der wichtigste Schritt im Heilungsprozess. Ohne die heilende Gefühlsintegration bleibt der analytische Prozess trocken, kalt und leer.

 

Es gilt:

 

Anzustreben ist die Versöhnung zwischen Gefühl und Bewusstsein. Die Depression ist das Ergebnis einer frühen Verletzung die durch eine Verdrängung oder Abspaltung abgepuffert wurde. Dies gilt es nicht als Gedanke zu lernen. Das wäre Gefühlsunterdrückung. Eine neue schmerzende Gewalteinwirkung auf die Psyche. Nur wenn auf der Gefühlsebene deutlich spürbar Erleichterung eintritt beginnt echte Heilung.

 

Wenn das Gefühl spürt und begreift: die Gefahr ist vorbei. Erst wenn dieses verstehende tiefe Durchatmen einsetzt das den Prozess der Heilung einleitet kann innere Ruhe einkehren.

 

Doch das ist ein langsamer Prozess, die Psyche schwankt noch. Desto mehr wir am Anfang stehen desto mehr ist die Psyche geneigt erneut ins Verdrängen zu fliehen. Zu tief hat sich die meist jahrzehntelang verdrängte Angst eingegraben in unser Sein, das geht nur mit viel Liebe und Hingabe weg. Auch später, bei ähnlichen schmerzhaften und bedrohlichen Situationen sind kurzfristige, aber ohne weiteres heftige Rückfälle möglich, nur hat dann der Klient das nötige know how um sich selbst am Schopf wieder aus dem Sumpf zu ziehen.

 

Es kann aber im drastischen Fall sogar nötig werden noch einmal kurz ein paar Stunden in die Analyse zu gehen und sich ergänzend helfen zu lassen. Denn es kann sein, dass wieder die alten Gefühle mit den aktuellen Problemen verknüpft werden. Wenn dem so ist, beginnt der Klient prompt wieder an eine furchtbare, ihm unbekannte Wahrheit, die tief in ihm versteckt ist, zu glauben. Gemeinsam mit dem Analytiker wird er aber recht schnell die echten Zusammenhänge erkennen und fühlen können.

 

Um das Vorgenannte zusammenzufassen lässt sich sagen:

 

Die Verdrängung/Abspaltung ist eine hilfreiche Reaktion der Psyche auf eine zerstörerisch wirkende, von außen kommende Belastung.

 

Die Psyche versucht die Belastung so gering wie möglich zu halten. Glücklicherweise verfügt die Psyche über diese beschützenden Kräfte.

 

Von dem anachronistischen leidvollen Überbleibsel können wir uns aber befreien, indem wir den Ursprung der Abspaltung aufarbeitend verstehen lernen und das Verstandene in befreiender Durcharbeitung in dem uns entsprechendem Tempo aus den verbergenden Regionen des Unbewussten zurückholen und dem Bewußtsein zugänglich werden lassen.

 

 

Das Verstandene wird zwar am Anfang des Heilungsprozesses durch die Schutzmechanismen sofort wieder             ins Unbewusste zurückbefördert, da die Psyche die Abspaltung noch immer für lebensnotwendig hält. Aber                 in der wiederholenden Durcharbeitung läßt dieser Schutzreflex nach und der Prozess der Durcharbeitung                   ermöglicht dem Bewußtsein einen immer leichteren und sicheren verfügbaren Zugriff auf den                                         Sinnzusammenhang ,der seiner heutigen psychischen Struktur zugrunde liegt, und ermöglicht damit die                     Heilung.

 

An einem extremen Beispiel soll die Entstehung einer Depression und der Heilungsprozeß erklärt werden. Denn extreme Beispiele zeigen den Zusammenhang am deutlichsten.

 

Wir können uns beispielsweise ein circa zweijähriges Kind vorstellen, dessen Mutter unter der ungewollten Existenz ihres Kindes leidet und deswegen eigentlich froh wäre, wenn es nicht leben würde. Wenn dieses Kind begriffe, daß seine Mutter sich seinen Tod wünscht, dann würde dies die Psyche des Kindes massiv gefährden. Diese Situation ist natürlich schon grundsätzlich gefährlich. Es gibt schließlich Mütter, die ihr Kind töten, und wenn das Kind massiven Haß spürt, dann ist das selbstverständlich extrem bedrohlich. Woher soll das Kind wissen, ob die Mutter dem Haß nachgibt oder ob sie sich noch im Griff hat. Aber auch wenn die Mutter den Haß auf ihr Kind nur fühlt und nicht auslebt, bedroht dies ein Kleinkind in höchstem Maße.

 

Ein Kind im Alter von 2 Jahren ist auf die Liebe der Mutter existentiell angewiesen. Es braucht ihre Liebe zum Wachsen und Gedeihen. Es braucht das Lächeln in den Augen der Mutter, um zu wissen was richtig ist. Es ist abhängig von ihrer Zuwendung. Wenn es etwas lernt und sieht, das die Mutter sich darüber freut, dann unterstützt das die Motivation des Kindes sich in dieser Richtung weiter zu entwickeln. Es braucht auf allen Ebenen ihre liebevolle Zuwendung und Anerkennung. Nur das gibt ihm inneren Halt.

 

Wenn nun ein solch kleines Kind spüren und begreifen würde „Meine Mutter will, daß ich tot bin!“ wäre das fatal. Es würde die gesunde psychische Weiterentwicklung massiv gefährden. Die Psyche würde überflutet von Angst, Verzweiflung und Schmerz. Das Kind würde innerlich in abgrundtiefe Panik, Hoffnungslosigkeit stürzen und wäre von einem extremen psychischen Zusammenbruch bedroht. Gefühle von Leere, Sinnlosigkeit, Haltlosigkeit und Desorientierung in schlimmsten Ausmaßen wären höchstwahrscheinlich die Folge.

 

Glücklicherweise verfügt die Psyche über einen hilfreichen Schutzmechanismus. Sie schaltet sich ab. Die Abspaltung oder Verdrängung ist ein schützender psychischer Vorgang der das Überleben sichert. Wie ein Föhn, der zu heiß geworden ist und sich automatisch abschaltet, weil man ihm eine Sicherung eingebaut hat, damit der Motor nicht durchbrennt. Die Erfinder haben dies der Natur abgeschaut. Solche schützenden Prozesse gibt es in vielen natürlichen Zusammenhängen.

 

So etwas Ähnliches kann auch der Körper. Bei sehr großen Schmerzen, zum Beispiel bei einem schweren Unfall wird auch oft einfach das Schmerzempfinden ausgeschaltet. Es gibt Berichte, daß ein Mensch noch mit gebrochenem Bein ein Stück laufen kann und erst zusammenbricht, wenn er es merkt. Das ist der Schockzustand. Die Muskeln haben in diesem Moment gegebenenfalls die Aufgabe der Knochen übernommen und sich so verhärtet, daß dies möglich wurde. Außerdem hatte der Körper noch zusätzlich den Schmerz abgeschaltet.

 

Die Psyche funktioniert ähnlich. Sie spaltet das gefährliche Erkennen „Meine Mutter haßt mich!“ ab.

 

Jetzt kann man sagen, dieses Beispiel ist in sich nicht stimmig, denn ein zweijähriges Kind kann so etwas noch nicht erkennen. Im Gegenteil, jeder Mensch, jedes Lebewesen ist von Beginn an darauf ausgerichtet leben zu wollen, und egal wieviel Wissen schon entwickelt werden konnte, es spürt Bedrohungen und reagiert.

 

Man muss sogar noch weitergehen. Ein kleines Kind interpretiert gerade auf Grund seiner noch in Entwicklung befindlichen geistigen Fähigkeiten eine Situation wesentlich radikaler als sie möglicherweise ist. Es ist existentieller auf liebevolle Zuwendung angewiesen desto jünger es ist und fühlt sich im Falle eines gravierenden Mangelgefühls entsprechend gefährdet, dazu bedarf es weder einem Bewußtsein von sich selbst noch von der Welt. Wie gesagt: jedes Lebewesen hat diesen Lebenswillen von vornherein, auch wenn es nicht denken kann wie der Mensch. Es gibt sogar wissenschaftliche Untersuchungen, die nachweisen, dass Pflanzen messbar reagieren, wenn sich Gefahren zeigen. Auf diesem Lebenswillen basiert der Erfolg der Evolution.

 

Um nach dieser erklärenden Argumentation zurückzukommen auf unser Beispiel eines zweijährigen Kindes:

 

Wenn die Mutter unter seiner Existenz leidet ist die Möglichkeit, daß das Kind dies als lebensbedrohlich wahrnimmt sehr hoch.

Wie gesagt, das basiert natürlich auf seinen noch kindlichen Fähigkeiten und fällt damit zumeist viel radikaler aus als angemessen.

 

Die ganzen mildernden Begleitumstände, das mögliche soziale Gewissen der Mutter, die sich vielleicht bewußt ist, dass das Kind für die Situation nicht verantwortlich ist und natürlich ihrer Fürsorge bedarf, der sie nur leider nicht so gerecht werden kann wie nötig, kann das Kind nicht angemessen analysieren. Es spürt den empfindlichen Mangel und reagiert mit Angst die sich eventuell ins Existentielle steigert.

 

Das wiederum ist aber selbst eine Bedrohung. Eine panikartige Überflutung würde die Psyche des Kindes nicht verkraften. Panik dient ja normalerweise dem Überleben. Stresshormone erhöhen kurzfristig die Leistungsfähigkeit und Aktivität. Das kann einer eventuellen Fluchtnotwendigkeit dienlich sein. Aber was soll das Kind in unserem Beispiel tun?

 

 

In seinem Fall ist (und heute auch in vielen Situationen von anderen Menschen) eine Angstaktivierung, die einen hilfreichen Pegel übersteigt, eher gefährlich.

 

Die Psyche muß sich schützen und dies geschieht unabhängig von der bewussten Wahrnehmung. So wie beim Atmen.

 

Sie spaltet die Wahrnehmungen, die die Angst auslösen, ab. Das Erkennen. Und sei es auch ein Erkennen, das wir nicht mit dem eines Erwachsenen vergleichen können, muss abgespalten werden. Die Psyche muss es verdrängen. Es wird ins Unbewusste verbannt.

 

Verdrängung und Abspaltung sind beides schützende psychische Mechanismen, die Erklärungszusammenhänge ins Unbewusste verbannen, damit sie nicht mehr wahrgenommen werden. So verhindert die Psyche selbständig und unbemerkt zerstörerische Panik.

 

Zu den Unterschieden zwischen dem Mechanismus der Verdrängung und dem der Abspaltung ist zu sagen, dass die Verdrängung leichter aufhebbar ist als die Abspaltung. Die Abspaltung wird für die Psyche nötig, wenn die Zusammenhänge besonders bedrohlich erscheinen.

 

Gemeinsam ist aber beiden Prozessen der Schutz vor gefährlich ansteigender, überflutender Panik. Da das Wissen um die Gefahr plötzlich nicht mehr zugänglich ist, verhindert dies einen weiteren Anstieg der Aufregung.

 

Natürlich erinnert dies an die Redewendung über den Vogel Strauß, dem man fälschlicherweise nachsagt, er stecke bei Gefahr den Kopf in den Sand. Das wäre in der Tat eher gefährlich als hilfreich. Der psychische Schutzmechanismus aber ist bitter nötig. Die Panik muss gelindert werden um die innere Stabilität zu sichern. Der schonende Zeitaufschub ermöglicht das Überleben. Übrig bleiben allerdings die Gefühle, die bis zu dem Moment der Abspaltung oder Verdrängung entstanden.

 

In unserem Fallbeispiel wahrscheinlich leidvolle, bedrängende Gefühle von Haltlosigkeit, Sinnlosigkeit, Angst, Verzweiflung, Leere und Schmerz. Aber sie bleiben wenigstens auf diesem Stand, auf diesem Status und werden nicht noch schlimmer. Da die Gefühle aber ab diesem Zeitpunkt im Unbewussten verborgen sind, wirken sie von dort aus solange sie verdrängt/abgespalten sind.

 

Das meint auch, wenn das Kind aus unserem Beispiel älter geworden ist, bleiben diese Gefühle, auch wenn sich die Situation vielleicht inzwischen in der realen Lebenssituation zum Guten gewendet hat. Auch der Erwachsene trägt diese Gefühle weiterhin in sich und leidet auch unter ihnen in völlig anderen Situationen. Das ist für den Verstand natürlich nicht zu begreifen.

Denn da die ursprüngliche Wahrnehmung, nennen wir sie Erkennen (auch wenn es ein dem kindlichen Entwicklungsstand entsprechendes Erkennen war), im Unbewussten verborgen ist.

 

Jetzt, da die Psyche das ursprüngliche Erkennen abgespalten hat, braucht der Verstand eine neue Erklärung für diese Gefühle. Sonst würde er sich selbst für verrückt halten. Darum sucht sich nun schon die Psyche des kleinen Kindes (später natürlich auch die des Erwachsenen) eine Erklärung für diese Gefühle. Diese Erklärung kann nur etwas sein, was logisch erscheint. Da Gefühle meist sehr gegenwärtig erlebt werden, deutet sie der Verstand entsprechend aktuell.

Allerdings nicht mehr mit der wahren Ursache, denn diese wurde ja als zu bedrohlich ins Unbewusste abgespalten. Stattdessen wird, ebenfalls unbewusst, etwas aus der eigenen direkten oder indirekten Erfahrung gewählt.

 

Was könnte sich die Psyche eines Kleinkindes als Erklärung einfallen lassen für diese Gefühle von Angst, Sinnlosigkeit, Haltlosigkeit, Verzweiflung, innerer Leere und Schmerz ? Es hält vielleicht die nächtliche Dunkelheit in seinem Zimmer für den Grund. Als Folge kann es dann vielleicht plötzlich nicht mehr allein in seinem Zimmer schlafen. Da das Kind aber natürlich auch tagsüber diese Gefühle wahrnimmt, sucht es wahrscheinlich nach weiteren Erklärungen. Vielleicht glaubt es nun, es könne überhaupt nicht mehr alleine sein.

 

Aus all diesem ergeben sich zwar nun schwierige Einschränkungen, denen die kindliche Psyche unterworfen ist. Trotzdem verhindern diese neuen Erklärungen viel Schlimmeres, nämlich die totale Überflutung und vielleicht Zerstörung seiner Psyche. Es ist also trotz der störenden Begleiterscheinungen, ein ganz hervorragender Schutzmechanismus.

 

Man könnte die Verdrängung fast mit einem Medikament vergleichen, dass lebensnotwendig ist, aber leider Nebenwirkungen mit sich bringt.

 

Man kann sich eines merken: Die Psyche schaltet den Schutzmechanismus nur bei echter Gefahr ein. Genau wie der Schockzustand eines Unfallopfers auch nur bei einer wirklich schlimmen, traumatischen Situation eintritt. Die Psyche macht nichts Überflüssiges. Sie schaltet genau wie der Körper nur ab, wenn es notwendig ist. Die Not wird abgewendet.

 

Man kann dies wie folgt auf den Punkt bringen:

 

Es gibt eine Kraft in der Psyche, die den innersten Kern schützt. Eine vernichtende Erkenntnis wird umgedeutet, bis sie vielleicht zwar behindernd aber nicht mehr zerstörerisch wirkt.

 

Das Schlimmste wird abgewendet.

 

Zusammengefasst lässt sich also feststellen: Diese schützende Kraft erbringt extrem wichtige und erfolgreiche Leistung. Sie rettet Leben.

 

Allerdings ist diese innere Kraft, dieser schützende Anteil in unserer Psyche auch in späterer Zeit felsenfest davon überzeugt, daß die Psyche zerstört wird, wenn sie die Wahrheit begreift. Deswegen verhindert dieser Anteil mit einer extremen Unbedingtheit, daß der entsprechende Mensch erkennt was wirklich der Wahrheit entspricht. Das heißt, der Schutzmechanismus sorgt dafür, dass wir die Wahrheit auf keinen Fall erkennen können, weil er uns vor Vernichtung bewahren will.

 

Das ist das schwierige Phänomen, das wir alle kennen:

 

Alle anderen können dann, später, wenn dieser Mensch herangewachsen und nun vielleicht 20 oder 30 Jahre alt ist, zum Beispiel in einer Gruppentherapie, seine Wahrheit verstehen, (jedenfalls wenn im Gruppengespräch die psychischen Probleme aufgedeckt werden konnten), nur er selbst nicht.

 

Das liegt daran, daß er meint auf keinen Fall seine Wahrheit erkennen zu dürfen. Die Verdrängung hat ihn damals vor innerer Vernichtung bewahrt und der schützende Anteil in seiner Psyche ist noch felsenfest davon überzeugt, daß er auch heute noch, im Alter von 20, 30 ,40 Jahren oder später von Vernichtung bedroht wäre, wenn er herausfinden würde, daß seine Mutter ihn haßt.

 

Im Gegenteil, der schützende Anteil der Psyche hat die Kindheitserklärungen vielleicht noch vielfältiger und differenzierter gestaltet und sie der gewachsenen Intelligenz dieses Menschen so angepaßt, daß er auf keinen Fall die Wahrheit herausfinden kann.

 

Die Psyche verfügt über einige Fähigkeiten der Verschlüsselung. Zum Beispiel die Verkehrung ins Gegenteil. Das heißt, später hat sich die Psyche des Erwachsenen wegen den Gefühlen der Angst, Verzweiflung, inneren Leere, Haltlosigkeit, Orientierungslosigkeit und Schmerz vielleicht in die Idee geflüchtet, er müsse unbedingt allein im dunklen Zimmer schlafen, damit die innere Pein aufhört. Möglicherweise denkt er nun aber auch, er könne nicht mit Menschen zusammensein, ohne dass ihn diese Gefühle quälen. Oder er meint, er könne mindestens nicht mit vielen Menschen in einem Raum sein oder er könne Menschen immer nur kurze Zeit ertragen.

 

Die Psyche hat aber auch die Möglichkeit, als Verschlüsselung etwas zur Seite zu schieben und nur leicht zu verändern. Vielleicht meint der betroffene Erwachsene auch, er könne nur bestimmte Menschen ertragen. Vielleicht nur Menschen, die ihn, ohne dass er es merkt, an die Mutter erinnern. Oder nur Menschen, die völlig anders als die Mutter sind. Eventuell meint er auch er könne nur bestimmte Situationen nicht ertragen, wie Zug fahren, ins Kino gehen, im Kaufhaus einkaufen oder auf einen hohen Turm steigen. Oder er fühlt sich nur auf hohen Türmen oder Bergen wohl oder nur beim Einkaufen.

 

Die Psyche hat unendlich viele Verwandlungs- und Abänderungsmöglichkeiten. Je intelligenter ein Mensch ist, desto komplizierter können die Erklärungen werden. Denn die Psyche meint ja - das darf nicht vergessen werden - wenn der Mensch die Wahrheit herausfinden und begreifen würde, sei er der Vernichtung preisgegeben. Ein intelligenter Mensch kann eine einfache Verschlüsselung natürlich leicht durchschauen und dies wäre unsicher und für ihn gefährlich.

 

Man kann sich das vorstellen wie bei einer Geheimsprache. Je mehr Verschlüsselungsebenen desto schwerer zu enträtseln.

 

Das heißt, der 1. Schritt in der fokussierten Tiefenanalyse ist die Beruhigung der dem Menschen innewohnenden schützenden psychischen Kraft. Dieser Anteil unserer Psyche muß sich ganz langsam an die Erkenntnis gewöhnen können, daß die Aufhebung des Schutzes möglich ist, weil die Gefahr vorbei ist. Er braucht dazu Zeit. Die schützende Kraft muss langsam Vertrauen fassen können. Ich nenne diese schützende innere Kraft manchmal Schutzengel. Denn sie bewahrt ein Leben lang vor Vernichtung.

 

Die 1. Stufe der fokussierenden Tiefenanalyse ist darum das Verstehen und die Anerkennung der schützenden Kraft. Deswegen kann sie weiter Schutzengel genannt bleiben, denn sie behütet ein Leben lang.

 

Die so genannte Neurose , die meist nur als störend empfunden wurde, die oft lästig und peinlich war, hat das Leben gerettet. Das zu begreifen, sich mit ihr auszusöhnen, sie dankbar anzunehmen und zu verstehen ist der 1. Schritt.

 

Dann kann der schützende Anteil, mag er weiter ruhig Schutzengel genannt werden, zur Ruhe kommen. Er wird nicht mehr bekämpft und verachtet und muß nicht mehr in dieser Mißachtung seine anstrengende, extreme Leistung erbringen. Nein, er wird geachtet und geliebt in Dankbarkeit. Er kann zur Ruhe kommen. Er wird angenommen und geehrt. Man kann sich vorstellen, daß man ihn nicht mehr nur loswerden will, sondern ihm im Gegenteil sagt:

 

„Lieber Schutzengel, Du hast mich ein Leben lang, Tag und Nacht, 24 Stunden täglich, 7 Tage die Woche, ohne Urlaub und Pausen behütet und ich wollte Dich immer nur loswerden. Jetzt verstehe ich Dich und bedanke mich bei Dir. Komm, setz Dich in meinen großen Ohrensessel. Hier ist eine schöne Tasse Tee. Komm her, setz Dich zu mir, entspann Dich und erzähl mir, vor was musst Du mich beschützen? Guck, ich bin jetzt schon so viele Jahre älter, vielleicht ist die Wahrheit traurig, aber sie tötet mich nicht mehr. Komm her und erzähl mir, was ist denn los?“

 

Das ist der 1. Schritt, die 1. Stufe auf dem Weg zur Heilung.

Wenn der „Schutzengel“ jetzt ganz vorsichtig Vertrauen faßt, dann kann er erzählen um was es geht und was die Verschlüsselung, die Symbole, die schützenden Erklärungen verhüllen und verbergen. Was die sogenannte Neurose bedeutet.

 

 

2. Die fokussierte Tiefenanalyse (2. Phase: Entschlüsselung)

 

 

Die Verschlüsselung ist sozusagen ein Märchen gezeichnet mit geheimnisvollen Symbolen. Die Verschlüsselung selbst erzählt von der Umwelt und dem konkreten Erfahrungsumfeld dieses Menschen als er noch Kind war und sich schützen mußte.

 

Man muß ihm nur zuhören können und die Symbole verstehen.

 

Deswegen ist es gut wenn man eine kundige Begleitung auf diesem Weg hat, die die Sprache der Symbole sprechen und deuten kann. Die fokussierte Tiefenanalyse ist eine Therapie des Selbst, die die Symbole des Unbewussten entschlüsselt.

 

Zur Erinnerung: Der Klient muss erzählen können und ein Psychotherapeut/in, welche/r die fokussierte Tiefenanalyse beherrscht, muss verstehend zuhören. Es ist am besten wenn der Klient sich auf die Couch legen kann um frei zu assoziieren. Frei auch von Höflichkeitsnormen und üblichen Gesprächsverhalten. Er muß den tiefenanalytischen Psychotherapeuten und Zuhörer dabei nicht anschauen und kann sich dadurch ganz auf sich konzentrieren. Er wird nicht abgelenkt. Er kann sein Herz ausschütten und alles erzählen was ihn belastet und plagt.

 

Der tiefenananalytisch geschulte Psychotherapeut wird ihm emphatisch verstehend zuhören. Gemeint ist damit nicht der klassische Psychoanalytiker, der freudianisch deutet. Es geht nicht um Ödipus oder um andere Deutungen Freuds. Es geht einzig und allein um die ganz realen Begebenheiten in der Kindheit, die das Selbst dieses Menschen prägten.

 

Mit dem Begriff Selbst sind die inneren Strukturen in der Psyche eines Menschen gemeint, die sich in den realen Begegnungen mit den Menschen in der Kindheit - wie oben erläutert - herausgebildet haben. Das meint vor allem das innere Bild welches ein Mensch von sich selbst hat. Sowohl bewusst als auch unbewusst.

 

Pädagogische Kenntnisse des Psychotherapeuten sind darum ein unverzichtbarer Bestandteil für fokussierte tiefenanalytische Arbeit. Besonders da in der fokussierten Tiefenanalyse der Analytiker den Klienten wesentlich aktiver unterstützt als in der klassischen freudianischen Psychoanalyse. Dies schafft die Chance auf einen Zeitgewinn. Hinzukommen in der fokussierten Tiefenanalyse die individuelle Einstimmung auf den jeweiligen Klienten auch hinsichtlich der Methodenwahl. Je nach dem was am ehesten der Psyche des Einzelnen entspricht können gestalt- und primärtherapeutische Elemente hilfreich sein, Bildmeditationen, Clearingangebote oder andere Unterstützungen, zum Beispiel welche aus den Bereichen Hypnotherapie oder Bioenergetik.

 

Der Psychotherapeut muss die Bedeutung der Kindheit auf der realen Ebene der Entwicklungsgeschichte eines Menschen kennen und sie mit dem Wissen über die psychischen Schutzmechanismen verknüpfen können. Dann kann er die symbolische Verschlüsselung der unbewussten psychischen Schutzmechanismen des Selbst als ganz realen, sinnvollen Schutz erkennen und analysieren.

 

Die Auflösung dieser Verschlüsselung erklärt sich am besten an einem weiteren Beispiel aus der Praxis, wobei die Klientin hier Maria heißen soll und aus Datenschutzgründen Abänderungen vorgenommen werden, die auf die Fallbetrachtung allerdings keinen Einfluss haben.

 

Maria kommt in die Therapie, weil sie einen Mann namens Heinz liebt und ihn nicht erobern kann. Sie erzählt von ihren Gefühlen und ihrem Leiden und berichtet von den vielfältigsten Erlebnissen und Begebenheiten mit ihm. Dabei wird mit der Zeit deutlich, daß er sich nicht abwehrend verhält. Denn sie erzählt von vielen gemeinsamen Erlebnissen und Situationen. Er lässt sich offensichtlich auf die verschiedensten gemeinsamen Unternehmungen ein. Bei Nachfragen stellt sich heraus, dass Maria und Heinz sogar einmal ein Liebespaar waren. Auch heute noch sind sie befreundet und erleben auch noch immer erotisches miteinander. Maria erzählt zudem, dass Heinz früher sogar sehr verliebt war und sie heiraten wollte. Am Anfang hätte er intensiv um ihre Liebe geworben. Der Analytiker ist verblüfft und erfragt den Grund der Änderung der Verhältnisse. Maria berichtet, daß sie ihren Liebsten am Anfang der Beziehung extrem schlecht behandelt habe. Sie habe ihn gehänselt, verspottet, ständig sich widersprechendes von ihm verlangt und ihn regelrecht vertrieben.

 

Das ist alles sehr erstaunlich und irritierend. Aber Irritationen sind in einer Psychotherapie Wegweiser. Der einfühlsame, emphatische Psychotherapeut wird hellhörig wenn er auf Irritationen stößt. Er weiß dann, dass die Richtung stimmen könnte.

 

Ähnlich wie bei Colombo, dem TV-Kripobeamten. Wenn dieser auf eine Irritation stößt weiß er, dies könnte die Spur zum Mörder sein. Zum Beispiel wenn man ihm sagt der Mörder sei durch die Terrassentür eingedrungen und die Glasscherben liegen draußen. Dann schließt er messerscharf, die Tür wurde nicht von außen aufgebrochen, denn sonst lägen die Glasscherben innen.

 

Im Falle einer Psychotherapie verweist die Irritation auf eine mögliche Verschlüsselung. Irgendetwas ist nicht ganz stimmig. Das könnte auf eine Erklärung hinweisen die erst im Laufe einer schützenden Verschlüsselung entstand. Vielleicht war der „Schutzengel“ sprich hilfreiche psychische Struktur am Werk.

 

An dieser Stelle muß der Therapeut natürlich sehr vorsichtig und sensibel sein. Der Schutzengel ist ja schließlich nicht der böse Mörder, sondern im Gegenteil der Lebensretter, der nur besorgt ist. Also wurde Maria nur ganz vorsichtig darauf hingewiesen, daß dies alles verblüffend wäre und gefragt, warum sie Heinz denn so behandelt habe.

 

Sie antwortete, sie wisse das leider nicht, aber sie hätte sich schon des öfteren so seltsam benommen. Fast immer oder sogar letztendlich immer wenn sie einen Mann wirklich gut fände und er sie, benehme sie sich so unverständlich. Sie sei dann, ohne dass sie es selbst verstehe, „böse und gemein“. Und wenn er dann irgendwann weglaufen würde, sei sie todunglücklich. Sie würde dann versuchen ihn zurückzugewinnen und unendlich leiden. Aber wenn er sich noch einmal darauf einlassen würde, könne das Ganze noch einmal von vorne beginnen.

 

Therapeutisch gesehen ist es jetzt klar, wir sind auf der richtigen Spur. Das alles kann nur eine Verschlüsselung sein. Hier hat der Schutzmechanismus gewirkt. Hier war der Schutzengel am Werk.

 

Jetzt könnte man natürlich sagen, das ist aber ein gemeiner Schutzengel, wenn er Maria alle Beziehungen zerstört. Was soll denn an all diesen Seltsamkeiten schützend sein?

 

Genau das ist dann auch die therapeutische Fragestellung, in die sich der tiefenanalytische Psychotherapeut emphatisch, also einfühlsam, hineindenkt. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Schutzengel nichts böses und sinnloses tut. Im Gegenteil er schützt wahrhaftig. Darum ist die Frage nach dem Warum zentral. Klient und Psychotherapeut gehen gemeinsam der Frage nach, vor was der Schutzmechanismus schützt.

 

Es ist natürlich wichtig, dass der Therapeut die vielfältigen und komplizierten Verschlüsselungstechniken des Unbewussten versteht, und auch die intelligenten und komplizierten Täuschungsmanöver die von der Psyche eingesetzt werden um zu schützen.

 

Um noch einmal darauf hinzuweisen. Der innere Schutzengel ist weder dumm noch gemein. Er wendet stattdessen höchstmögliche Intelligenz auf um durch seine Verschlüsselung vor einer, in seinen Augen noch immer vernichtenden, Wahrheit zu bewahren.

 

Die Frage ist nun, um welche Wahrheit handelt es sich bei Maria. Welche Wahrheit ist so gefährlich?

 

De facto verhindert der Schutzmechanismus Liebesbeziehungen.

Was kann an einer Liebesbeziehung so schlecht sein? Was kann bei einer Liebesbeziehung passieren?

 

Stück für Stück schält sich etwas heraus. Klient und Analytiker entschlüsseln gemeinsam die ersten Teile des Geheimnisses.

 

Maria meinte tief in ihrem Inneren, sie sei langweilig und uninteressant. Sie hielt sich darum für wertlos und hatte unbewusst Angst der Liebste könnte dies herausfinden und sie verlassen. Sie nahm deswegen durch ihre Provokationen, die Heinz verjagten, die Trennung vorweg. Sie rächte sich sogar gleichzeitig für die Mißachtung, die sie von ihm befürchtete, indem sie sich beleidigend verhielt. Sie behandelte ihn so, wie sie es von ihm befürchtete.

 

An diesem Punkt der Therapie angekommen kann festgestellt werden, dass die Fährte richtig ist. Des Pudels Kern ist gefunden. Da bekannt ist, Heinz ihr Liebster ist an all dem völlig unschuldig, denn er ist ein ausgesprochen netter Mann der Maria keinesfalls mißachtet, ist zu schließen, dass auf eine Angstprojektion gestoßen wurde. Das meint: Maria hat eine Angst, die in einer völlig anderen Situation entstand, auf ihren Liebsten verlagert.

 

Es ist also eine abgespaltene Angst!

 

Es sei noch einmal an den Föhn erinnert, der sich abschaltet wenn der Motor zu heiß wird. Denn wie gesagt, der Schutzmechanismus wird nur wirksam wenn es gefährlich wird. Das heißt, höchstwahrscheinlich hat ein Mensch, der für Maria sehr wichtig war, sie missachtet. Ein Mensch, dessen Achtung für sie so wichtig war, dass seine Missachtung sie vernichten kann. Es muss also ein Mensch gewesen sein, von dessen Liebe, Achtung und Anerkennung sie existentiell abhängig war.

 

Die Frage nach den primären Bezugspersonen, den Eltern, drängte sich auf.

 

Maria erzählte von ihrer Mutter, mit der sie ein sehr gutes Verhältnis gehabt habe. Allerdings habe sie in der Kindheit sehr unglücklich und verzweifelt reagiert, wenn ihre Mutter mit dem Vater ausgegangen sei. Dann erzählte sie von ihrem Vater, der ihre Mutter mit Aggressionen tyrannisiert habe. Ihre Mutter habe sich immer bei Maria ausgeweint. Sie hätten beide vor dem Vater Angst gehabt. Wenn er den Raum betreten habe, sei jedes Gespräch verstummt und eine unangenehme Spannung habe die Situation vergiftet. Maria habe dann immer so schnell wie möglich den Raum verlassen und wäre ins Kinderzimmer geflüchtet. Sie habe ihren Vater dafür gehasst. Er hätte privat eine Pistole besessen, die immer in der Küche hinter dem Brotkasten gelegen hätte. Immer wieder habe sie sich als Kind vorgestellt, wie sie den Vater mit der eigenen Pistole töte.

 

An dieser Stelle der Analyse angekommen, kann im weiteren Verlauf verfolgt werden, welche Verschlüsselungstechniken die Psyche schützen.

 

Im ersten Schritt reagiert Maria mit Hass. Sie möchte den Vater erschießen, weil er die Mutter und Maria so aggressiv behandelte. Aber dieser Wunsch verursacht Schuldgefühle in ihr.

Den eigenen Vater erschießen, das ist böse. Außerdem liebt ihn die Mutter offensichtlich trotzdem, denn sie geht immer wieder mit ihm aus und wirkt zu Marias Verwirrung an solchen Abenden heiter und fröhlich. Nach dem Ausgehen schließen sich Vater und Mutter immer im Schlafzimmer ein. Danach scheint die Mutter dann sehr glücklich und hoffnungsfroh zu sein. Obwohl diese Entspannung zumeist recht schnell durch neue Aggressionen des Vaters zerstört wird.

 

Dennoch kann die Psyche von Maria die Phantasien vom Vatermord nicht aushalten und deswegen entwickelt sich eine weitere Verschlüsselungsstufe. Maria stellt sich nun statt dem Vatermord einen Amoklauf durchs Dorf vor. In ihrer Phantasie klingelt sie an allen Türen und erschießt jeden der öffnet. Doch auch diese Abänderung erschreckt sie viel zu sehr. Sie ist keine Mörderin und will auch keine sein.

 

Ihre Psyche wandelt die Aggression nun in eine Depression um. Der Hass wird nach innen gewendet. Maria stellt sich nun ihren Selbstmord vor. In ihrer Phantasie wirft sie sich nun vor den Zug.

 

Zusammengefasst zeigen sich die drei Verschlüsselungsstufen wie folgt:

Vatermord – Amoklauf – Selbstmord.

 

Bei jeder Verschlüsselungsstufe konnte die Psyche die gefährliche Wahrheit aus der Wahrnehmung verdrängen. Maria war nicht mehr von der Angst bedroht, der Vater könnte die Mutter töten und sie wäre allein mit diesem gefährlichen Mann und ohne die Liebe ihrer Mutter. Ohne diesen Schutz durch Verdrängung wäre sie massivsten Gefühlen von Hilflosigkeit, Verzweiflung und Vernichtungsangst ausgesetzt und das hätte ihre Psyche extrem gefährdet.

 

Das darf nicht passieren. Der Schutzmechanismus der Psyche wird wirksam. Der Schutzengel tut sein Werk und spaltet diese Wahrheit von ihrem Wissen ab. Die gefährliche und vernichtende Wahrnehmung wird ins Unbewusste verdrängt.

 

Auf der ersten Verschlüsselungsebene wandelt Marias Psyche Vernichtungsangst in Hass um. So kann die Angst abgewehrt und verdrängt werden.

 

Da Marias Psyche aber auf den Hass mit Schuldgefühlen reagiert, die offensichtlich ebenfalls unerträglich sind und die Wahrheit zudem noch viel zu schnell verstanden werden kann, verhüllt die Psyche mit einer weiteren Verschlüsselung. Jetzt tötet sie in der Phantasie nicht mehr den Vater sondern die Dorfbewohner. Ihre Psyche ist sozusagen nach der Seite ausgewichen. Die Phantasie mit den Dorfbewohnern lenkt von dem gefährlichen Vater ab.

 

Doch Marias Psyche führt noch eine weitere Verschlüsselung durch, denn auch diese Phantasie erschreckt sie noch viel zu sehr. Auch ein Mord an den Dorfbewohnern ist ein schreckliches Verbrechen und Maria ist keine Mörderin, sondern nur ein Kind, das sich nach Liebe sehnt. Maria stellt sich nun stattdessen den eigenen Tod vor. Das entspricht auch den traurigen und verzweifelten Gefühlen mit denen sie auf die traurige Situation reagiert.

 

Sie hat jetzt die Phantasie sich selbst zu töten. Aus der Aggression wird Depression. Die Wut wird nach innen gewendet.

Das befreit von Schuldgefühlen und ist zudem durch die Mehrfachverschlüsselung eine trickreiche Verhüllung der ansonsten vernichtenden Wahrheit.

  

Die Möglichkeit, der Vater könnte die Mutter töten und sie sei dann mit diesem bedrohlichen Mann allein und ohne Mutters Liebe, Anerkennung und Schutz wird nicht mehr wahrgenommen, sondern ins Unbewusste verbannt.

 

Die Angst kann sich in ihrer Psyche nicht mehr überflutend und vernichtend ausbreiten. Ihre Psyche wird vor Zerstörung bewahrt.

 

Trotzdem bleibt natürlich Marias Angst und auch ihre Selbstmordphantasie.

 

Und ihre Psyche muß jetzt dafür eine plausible Erklärung finden.

Sie findet diese Erklärung bei ihrem Vater. Er bewertet alles was sie macht negativ und bedroht sie immer mit Strafe. Sie darf noch nicht einmal mit dem Nachbarjungen spielen weil sie ein Mädchen ist. Offensichtlich befürchtet er Doktorspiele. Als sie es dennoch wagt, wird sie von ihm hart bestraft und geschlagen. Auch ihre Schulleistungen findet er ungenügend. Zudem ist sie in seinen Augen unordentlich und faul.

 

Maria leidet unter dieser dauernden Herabsetzung erheblich. Darum erklärt sich die Psyche ihre Selbstmordphantasien auf diese Weise. Besonders da die ständige Entwertung sie tatsächlich sehr traurig macht. Sie hält sich ja selbst für minderwertig, dumm und faul. Der Gedanke, sie wolle sich deswegen töten, ist für sie nachvollziehbar.

 

Glücklicherweise glaubt sie dies in ihrem allerinnersten Kern nicht. Denn in ihrem tiefsten Inneren hat sie ja Wut auf den Vater. Dieser innerste Kern in ihr weiß nicht, sie ist minderwertig, sondern der Vater ist böse. Das ist der Kern in ihr der sie gerettet hat. Dieses Wissen gründet auch an Marias liebevollem Verhältnis zur Mutter. Maria weiß, dass die Mutter nur Gutes von ihr denkt, sie liebt und anerkennt.

 

Allerdings ist selbst dieser Kern in Gefahr, nämlich immer wenn die Mutter mit dem Vater ausgeht, sich dann mit ihm im Schlafzimmer einsperrt und am nächsten Morgen so glücklich ist. In solchen Situationen ist Marias Bündnis mit der Mutter in Gefahr. Sie hat Angst ihre Mutter könne den Vater bevorzugen.

Maria befürchtet dann zudem ihre Mutter denke genauso schlecht über sie wie der Vater. Sie ist in solchen Momenten sehr bedroht, die Sorge die Mutter könne sie wertlos finden erschreckt sie zutiefst.

.

Deswegen muß Marias Psyche auch diese Angst abspalten und sie ins Unbewusste verdrängen. Der Gedanke die Mutter könnte sie so sehen wie der Vater kann Marias Psyche vernichten. Denn dann wäre sie ebenfalls von ihrer Minderwertigkeit überzeugt. Das Leben erschiene ihr sinnlos.

 

Deswegen bleibt ihre Psyche lieber bei der Vorstellung das negative Urteil des Vaters käme von den Schulleistungen und ihrem verbotenen Spiel mit dem Nachbarjungen.

 

Da dies ihrer Psyche immer noch zu sehr zusetzt ändert sie dies ebenfalls in den Gedanken ab, sie sei langweilig. Allerdings bleibt lauernd im Hintergrund die Angst, sie sei doch wertlos.

 

All dies bewirkte später bei ihr die scheinbar seltsamen Reaktionen in Liebesbeziehungen.

 

Um noch einmal zu erinnern: Immer wenn sie einen Mann begehrenswert fand und er sie behandelte sie ihn schlecht, weil sie unbewusst fürchtete sie sei langweilig und er könne das herausfinden und sie verlassen. Sie führte darum unbewusst die Trennung sofort herbei, um den Schmerz abzuwehren.

 

Das Resultat war für Klient und Analyst überraschend.

 

Es ist immer wieder festzustellen, wie verblüffend die komplizierten und dennoch in sich stimmigen Wege sind, welche die Psyche bestreitet. Dieses geniale, komplizierte Netzwerk schützt die Psyche wirklich vor Vernichtung. Denn es ist ja real viel weniger schlimm zu denken, sie sei langweilig, als von der Angst geflutet zu sein, der Vater könne die Mutter töten und sie sei dann allein mit diesem gefährlichen Mann und ohne die Liebe und Anerkennung der Mutter.

 

Nachdem das alles verstanden war konnte Maria stufenweise die Schutzmechanismen aufgeben. Natürlich nur sehr vorsichtig und behutsam. Denn sie konnte natürlich den schützenden Anteil in ihrer Psyche nur ganz langsam davon überzeugen, daß die Wahrheit nicht mehr vernichtend ist. Nachdem ihre Psyche aber verstanden hatte, die Gefahr ist vorbei, konnte sie entspannen und eine Liebesbeziehung eingehen.

 

 

3. Das Wiedererkennen

 

Es soll nun erklärt werden, wie das Wiedererkennen vor sich geht.

 

In der ersten Stufe der Therapie wurde besprochen was den Klienten belastet. Er hat erzählt was ihn quält.

 

Es soll an einem 3. Fallbeispiel noch einmal kurz zusammengefasst werden. Der Klient soll Michael heißen, der unter Herzattacken leidet und deswegen bei den verschiedensten Ärzten war, die nichts körperliches feststellen konnten. Daher der Entschluss nach psychischen Ursachen zu fahnden. In der 2. Stufe wurde herausgefunden, dass die Herzattacken in Zusammenhang mit hohem Leistungsdruck, massiven Überforderungsgefühlen und Angst entstanden.

 

Der Klient musste ständig aus einem inneren Zwang heraus alle Verantwortung auf sich nehmen auch die von anderen Menschen und zudem noch sämtliche Arbeiten mit höchster Perfektion erledigen. Seine Arbeit war kaum noch bewältigbar, sowohl beruflich als auch privat. Einerseits war das eine äußerst liebenswürdige Eigenschaft von ihm, andererseits raubte ihm dies alle Energien, denn er verausgabte sich zu sehr.

 

Es stellte sich heraus, dass er bei all diesen Bemühungen von einer massiven inneren Angst getrieben wurde. Er befürchtete auf schwerwiegendste Art abgelehnt zu werden, wenn er sich nicht in der bisherigen Weise engagiere. Diese enorme ständige Einsatzbereitschaft führte zwar in seinem Berufsleben zu hohem Erfolg, aber seine Energien wurden davon fast vollständig aufgebraucht. Er fühlte sich völlig ausgezehrt und war an den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit.

 

Dies alles waren massive gesundheitliche Warnzeichen. Es wurde notwendig, diesen extremen inneren Zwang zur Leistung umzuwandeln in effiziente und gesunde Arbeitsbereitschaft.

 

Da er dies bis jetzt trotz seiner sonst so ausgeprägten Disziplin nicht geschafft hatte, wurde das Problem nun analytisch untersucht.

 

In für ihn sehr schwierigen Sitzungen zeigte sich die Tragweite und Ursache dieses inneren Zwangs in ersten Anfängen. Er war ein Adoptivkind und seine Adoptivfamilie war äußert schwierig, aber sein Problem reichte in seine früheste Kindheit zurück. Aber diese Erinnerungen waren extrem bedrohlich und erschreckend, er hatte gelernt sie wegzuschieben.

 

Vorsichtig und mit großen Therapiepausen, in denen er sich von der schrecklichen Wahrheit zurückziehen mußte, wurde deutlich, dass seine Ursprungsfamilie aus dem kriminellen Milieu kam. Sein Vater war viele Jahre wegen Raubüberfällen inhaftiert, seine Mutter war ebenfalls schon in Haft gewesen, und beide litten unter Alkoholabhängigkeit, zudem quälte der Vater die Familie gewalttätig. Alle seine Geschwister wurden ebenfalls kriminell, nur er Michael lebte völlig anders.

 

Er wurde im Alter von zwei Jahren von einem Onkel adoptiert, da er diesem als ein besonders netter und charmanter Junge auffiel. Die neue Familie war zwar auch nicht einfach und am Anfang der Analyse wurde oft über die Probleme mit den Adoptiveltern gesprochen, aber im weiteren Verlauf zeigte sich immer deutlicher, dass die neue Familie seinen Lebensweg entscheidend zum Positiven veränderte.

 

Aber was ihn am meisten prägte war die Angst. Die Angst wieder zurück zu müssen in die Hölle seiner Kindheit, der er nur mit knapper Not entkommen war. Deswegen war er innerlich massiv getrieben ein guter Junge zu sein und alle Wünsche seiner Mitmenschen (also am Anfang die seiner neuen Familie) zu erfüllen. Denn seine Liebenswürdigkeit hatte ihn damals gerettet. Nur weil er damals so ein netter kleiner Junge war, wurde er adoptiert und entkam dadurch seiner alten Familie. Er las darum allen Menschen ihre Wünsche von den Augen ab um sie zu erfüllen und übernahm immer und überall jede anfallende Arbeit. Ihn trieb unbewusst die alte abgespaltene existentielle Angst.

 

In seiner Kindheit bedrohte ihn immer die Gefahr er müsse wieder zurück. Das unbewusste Gefühl größter Bedrohung begleitete sein ganzes Leben und es verband sich für ihn mit der zwingenden Notwendigkeit den Wünschen anderer Menschen zu entsprechen.

 

Gerade dadurch, daß es unbewusst war, entzog es sich vollständig seiner Kontrolle. Da er nicht wusste, welche Angst ihn zwang, konnte er nicht rational überprüfen ob er wirklich in Lebensgefahr kam, wenn er eine Arbeit nicht erledigte. Denn dann hätte er bemerkt, daß diese Bedrohung vorbei war.

 

Das Problem bestand nun darin die Verdrängung aufzudecken, damit er seinem Verstand die Möglichkeit geben konnte den Sachverhalt rational zu untersuchen und sich zu überzeugen, daß die Gefahr wirklich nicht mehr bestand. Da aber die Verdrängung damals zu seinem Schutz einsetzte und sich begründete durch die Sorge die Kenntnis der Wahrheit könnte ihn massiv mit vernichtenden Ängsten überfluten verweigerte sein Unbewusstes die Aufdeckung.

 

In der Analyse war es darum extrem schwierig die traumatischen Beweggründe zu erhellen. Da aber nur die Überprüfung durch den eigenen Verstand ihm zeigen konnte, daß die vernichtende Gefahr vorbei war, musste er die Ängste anschauen.

 

Dies ist ein extrem schwieriger Prozeß, denn solange die Angst nicht rational überprüft werden kann hält der Mensch sie für die Wahrheit. Darum versucht er ihr mit all seiner Kraft zu entfliehen. Desto näher der Klient der Aufklärung durch Bewußtmachung und Überprüfung kommt, desto stärker steigert sich der Fluchtimpuls.

 

Man kann sich (natürlich nur symbolisch) den Raum des Unbewussten vorstellen wie durch einen Filter vom Raum des Bewußten getrennt. Solange die Todesangst im Raum des Unbewussten weilt kann sie nicht überprüft werden und entfaltet darum ihre ganze Kraft. Wenn die Angst nun durch das analytische Gespräch immer deutlicher wird und sich dadurch der Schranke zum Bewußten nähert, ist sie aber kurz vor dem Übergang zum Bewußtsein am stärksten, denn sie wird für die Wahrheit gehalten bis zu ihrer Überprüfung durch die Ratio.

 

Das heißt, Angst und Abwehr steigern sich auf dem Weg ins Bewußte und der Moment direkt vor dem Übergang ins Bewußtsein ist mit extremer Angst besetzt. Die Fluchtimpulse sind massiv. Direkt nach dem Eintritt ins Bewußtsein allerdings stellt die Ratio dann sofort fest, daß keine Gefahr besteht. Denn wenn der Verstand die Angst sieht wird er natürlich sogleich feststellen, dass sie überflüssig ist. Dann breitet sich auf der Stelle das total befreiende Gefühl der Erleichterung aus und plötzlich sind alle Zusammenhänge deutlich und klar sichtbar und verstärken die innere Befreiung.

 

Wie aber ist der Weg Richtung Bewusstsein? Da die unbewussten schützenden Widerstände sehr groß sind ist es ein entsprechend schwieriger Prozess.

 

Auch im Fall Michael war dies so.

 

Es war sehr schwierig für ihn sich an all das Traumatische in der frühen Kindheit zurück zu erinnern. Er hatte wirklich einen fast absoluten Mantel des Vergessens darüber gelegt. Besonders, da man sich üblicherweise meist nur bis circa zum fünften Lebensjahr zurückerinnern kann.

 

Aber im Verlauf der Analyse konnte die unbewusste Todesangst immer mehr in Richtung Bewußtsein gebracht werden. Es musste dabei sehr sanft und langsam vorgegangen werden, damit er sich vorsichtig die schrecklichen Umstände anschauen konnte, die in ihm diese existentielle Vorwärtsgetriebenheit auslösten.

 

In der analytischen Arbeit konnte er sich immer mehr an die Gefühle heranarbeiten und sie immer mehr Richtung Bewusstsein bringen. Er konnte den panikartigen Impuls, mit Höchstleistung alles erledigen zu müssen, was andere von ihm forderten, und die dazugehörigen Überforderungsgefühle und Erschöpfung immer besser wahrnehmen. Er konnte die einzelnen Anteile dieses komplexen unbewussten Zusammenhangs Stück für Stück wahrnehmen und sehen, wie sie meist in sekundenschnelle in seinem Inneren zusammenspielten. In der Phase des Wiedererkennens schaute er sich diese vernetzte Gefühlskombination, freigelegt von den aktuellen Erklärungen in denen sein Unbewusstes annahm er würde Job und Freunde verlieren und in unendliche Not kommen wenn er nicht alle Arbeit perfekt und prompt erledigen, genau an. Zudem wurde ihm immer deutlicher, wie sehr diese Gefühle sein Leben dominierten.

 

Zu diesem Zweck wurde die bildmeditative Methode einer Zeitreise zurück in die Vergangenheit verwandt. Michael versetzte sich mit Hilfe seiner Phantasie in einen Zeitlift und fuhr ganz langsam durch die Zeit zurück und hielt bei vielen Momenten in seinem Leben an, in denen er durch diese Gefühle zu Höchstleistungen aller Art genötigt wurde. Immer wieder wurden ihm so Situationen präsent, die sein Leben in solcher Weise kennzeichneten und prägten. Am Ende der Zeitreise kam das Schwerste, da es extrem angstbesetzt war: Er stellte sich die Situation im ersten Elternhaus vor und versuchte sich auch an das damalige Gefühl der einmaligen Chance, der Onkel könne ihn retten, zurückzuerinnern.

 

Da aber alles wegen der Todesangst noch im Unbewussten verdrängt war, waren diese Gefühle nicht wahrnehmbar. Deshalb wurde eine weitere methodische Hilfe genutzt. Diese Methode kann helfen, da der schützende Abwehrmechanismus damit etwas gebremst werden kann.

 

Er stellte sich ein anderes Kind im Alter von circa zwei Jahren vor, welches in einer ähnlichen Situation wie er in seiner Kindheit war, und fühlte sich in dessen Gefühlslage ein. Er fragte sich, was so ein Kind in dieser Lage wohl fühlt und denkt, und da genau in seinem Unbewussten diese Gefühle lebten, waren sie abrufbar. In dieser Phase hätte er zwar zu große Angst empfunden um die eigenen unbewussten Gefühle bewusst zu spüren, aber die eines anderen Menschen konnte er sich vorstellen.

 

Auf diese Weise gelang es ihm sich die Todesangst und existentielle Hoffnung auf Rettung vorzustellen. Er konnte sich dann auch das Gefühl, den möglichen Retter positiv stimmen zu müssen, in seiner zwingenden Weise nachvollziehen und auch die panische Angst vor einem Fehlschlag. Stück für Stück konnte sich Michael die komplexe Gefühlslage dieses anderen Kindes vorstellen und alle Teile sehen. Und so arbeitete er mit dem Analytiker die gesamte Gefühlsvernetzung über Einfühlung in die Situation dieses Kindes heraus.

 

Der Gesamtzusammenhang Panik, Todesangst, Hoffnung, die Bereitschaft (ja Zwang) alle Wünsche zu erfüllen egal, wie hoch die dazu notwendige Anstrengung auch sein mögen, und die dazugehörige Angst zu versagen und die folgende Erschöpfung, konnte er vollständig herausarbeiten. Allerdings nur bei dem anderen Kind; er selbst wagte noch nicht die eigenen Gefühle zu fühlen da sein Unbewusstes die überflutende Vernichtung verhindern musste. Durch die theoretische Annäherung an das gefährliche Thema wurde er aber langsam mutiger und konnte darum im nächsten Schritt seine jetzige Gefühlslage genauer anschauen.

 

Er stellte dabei fest, daß unter der zwingenden inneren Notwendigkeit alle Anforderungen von anderen zu erfüllen sich ebenfalls ein massives Gefühl von Bedrohung versteckte. Er hatte dies immer mit Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes oder der Freunde erklärt. Bei genauerem Hinsehen konnte er dies aber revidieren. Es wurde ihm klar, dass er in dieser Gefahr gar nicht war. Zudem merkte er, dass er eigentlich auch nicht bereit war sich so einschüchtern zu lassen. Ihm wurde klar, dass er weder eine Arbeit noch Freunde fürchten musste. Selbst wenn er diese im schlimmsten Fall verlöre, brauchte er sie nicht, denn er hatte andere Möglichkeiten und war nicht abhängig.

 

Nachdem er sich dieser Beruhigung vergewissert hatte konnte er mit wesentlich mehr Selbstvertrauen in sein Inneres hineinfühlen und stieß dabei auf erst einmal unerklärliche Gefühle wie Todesangst, Hoffnung, immense Leistungsbereitschaft, existentielle Versagensangst, Erschöpfung. Der gesamte Gefühlskomplex wurde sichtbar und schien irrational, verrückt und völlig sinnlos in ihm zu existieren.

 

Da die bewusste Erkenntnis aber immer noch abgewehrt werden musste, wurde Michael aufgefordert, doch einmal rein theoretisch zu überprüfen, ob nicht genau all diese Gefühle dieselben des vorher fiktiv vorgestellten Kindes mit der ähnlichen Situation wie seine sind. Nachdem er dies geprüft und bestätigt hatte war der nächste Schritt relativ einfach zu bewältigen.

 

Er überprüfte nun, rein theoretisch, ob diese Gefühle die er in seinem heutigen Erleben fühlen konnte und die offensichtlich in der Gegenwart völlig unangemessen und deplaziert waren, in der Vergangenheit angemessen gewesen wären.

 

Dies bestätigte er.

 

Danach wagte er den ersten Versuch sich die alte Situation mit diesen Gefühlen vorzustellen.

 

Und er erkannte sie.

 

Er konnte die Gefühle wiedererkennen. Plötzlich lag alles auf der Hand. Es waren wirklich dieselben Gefühle wie damals. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Das war die Stufe des Wiedererkennens. Nun konnte zur nächsten Stufe übergegangen werden.

  

 

4. Die Überprüfung

  

Was meint überprüfen?

 

Wichtig ist der Unterschied zwischen Suggestion und Überprüfung. Es hat keinen Sinn - oder besser: es ist sogar schädlich - wenn sich der Klient suggerierend einredet, das seien alte Gefühle, oder wenn er sich das vom Therapeuten suggerieren lässt. Das wäre eine weitere Traumatisierung. Die drastischen Worte werden bewusst gewählt. Denn es geht immer um alte Traumen, die abgespalten werden mussten. Der Mensch spaltet immer nur traumatische Zusammenhänge ab. Die Psyche arbeitet logisch und extrem präzise. Die Psyche reagiert nicht grundlos.

 

Das heißt: sie spaltet nur in Notsituationen ab. Um zu überleben.

Die Psyche würde niemals ohne dringende Notwendigkeit abspalten.

 

Das bedeutet aber, wenn bei der Bergung dieser Abspaltung falsche Deutungen durch Selbstsuggestion oder Suggestion aufgezwungen werden, dann wird die schon traumatische Abspaltung verdoppelt.

 

Wenn sich eine Traumatisierung während einer Psychotherapie ereignet, fällt dies besonders negativ ins Gewicht.

 

An einem Beispiel aus dem körperlichen Bereich erklärt ist das so, als ob man in eine sowieso schon tiefe Wunde noch einmal hineinbohrt und dadurch weitere Verletzungen hervorruft.

 

Was aber ist stattdessen nötig?

 

Es ist eigentlich ein ganz schlichter und einfacher Prozess.

 

Betrachtet man noch einmal die Situation bei dem aktuellen Beispiel, ist es ein das Gefühl der Bedrohung. Der Klient spürt eine Gefährdung. Er meint in der jeweiligen Situation, es sei unbedingt nötig die Anforderungen, welche durch Freunde, Kollegen und Vorgesetzte an ihn herangetragen werden, erfüllen zu müssen.

 

Manches mal ist dies bestimmt auch wirklich wichtig. Aber dieser Klient verspürt diese zwingende Notwendigkeit immer. In der Phase der Überprüfung geht es darum, sich diese Gesamtlebenssituation deutlich werden zu lassen und sie mit klarem Verstand anzuschauen.

 

Er stellt sich selbst nun noch einmal die Frage, ob diese für ihn typischen Gefühle angemessen sind. Im jeweils einzelnen Fall mag es wichtig sein Anforderungen zu erfüllen, das hat ihn im Beruf zum Erfolg gebracht und bei seinen Freunden ist er darum als mitfühlend und hilfreich sehr geschätzt. Aber passen diese Gefühle in ihrer existentiellen Bedrohung?

 

Er wird feststellen, dass dem nicht so ist. Auch wenn er manchmal nein sagen würde, käme er in keine Lebensgefahr.

 

 Wenn er aber nun die frühe Situation aus der Kindheit anschaut, dann passen seine Gefühle viel besser in diese Zeit. Hätte der Onkel ihn nicht mitgenommen, wäre er real in einer extrem problematischen bis traumatischen Lage geblieben. Er kann also nun feststellen, die Gefühle, die ihn schon ein ganzes Leben quälen, gehören in diese alte Situation. Sie sind nicht mehr notwendig.

 

Nun ist die Phase der Überprüfung abgeschlossen.

 

Der Klient kann sich nun auf den nächsten Schritt einlassen.

  

 

4. Das Staunen

 

 

Als nächstes geht es darum diese Erkenntnis auf sich wirken zu lassen und ihre Bedeutung in ihrem ganzen Ausmaß zu begreifen.

 

Was heißt das, die Gefühle gehören in die frühe Kindheit?

 

Er kann diese Erkenntnis staunend auf sich wirken lassen.

 

Er kann dieses Begreifen in seiner ganzen Tragweite spüren.

 

Er braucht diese Gefühle nicht mehr.

 

Er kann dieses Staunen im ganzen Körper erspüren.

 

Er wird ein tiefes Gefühl der Erleichterung spüren.

 

  

5. Die Erleichterung

 

 

Er kann Aufatmen. Ein Leben ohne diese Gefühle der existentiellen Bedrohung liegt vor ihm.

 

Die ganze schwere Last verschwindet.

 

Er wird ein intensives Gefühl der Erleichterung in sich aufsteigen fühlen, denn die ganzen alten Lasten fallen ab.

 

  

6. Die Befreiung

 

.

Er kann begreifen er ist frei.

 

Frei in seinen Entscheidungen und frei von der existentiellen Bedrohung.

 

Er ist frei und er kann sich erholen und die neue Freiheit

lustvoll erleben.

 

Er merkt die Gefahr ist vorbei.

 

Endgültig und er wird Glück fühlen.

 

Glück, Kraft und Freude.

 

 

7. Der Prozess des Durcharbeitens

 

 

Wie schon im Verlauf der vorliegenden Erklärung erwähnt ist eine durcharbeitende Wiederholung des Heilungsprozesses notwendig.

 

Ein einmaliges Verstehen genügt nicht, da die Schutzmechanismen das ins Bewusstsein gehobene sofort wieder verdrängen, denn sie halten es noch immer für lebensbedrohlich.

 

Im praktischen Verlauf des Heilungsprozesses zeigt sich dies in den verschiedensten Formen.

 

Oft ist es so, dass der Klient - direkt nachdem er zum ersten Mal den Gesamtzusammenhang erkannt und die befreiende und staunende Erleichterung spürte - danach Erinnerungsschwierigkeiten hat. Er weiß dann nur noch, dass er doch eben viel verstanden hat und kann sich auch an die guten Gefühle erinnern, aber er weiß nicht mehr über was geredet wurde. Manche Klienten erleben dies so, als hätte sich ein nebliger Schleier über ihre Erinnerung gelegt.

 

Das liegt an den unbewussten Schutzmechanismen, die sofort nach der Aufklärung wieder verdrängen, denn die Psyche ist noch von der Gefahr überzeugt.

 

Direkt nach der Vernebelung kommen dann auch wieder die alten Abwehrmechanismen in Aktion, denn sie sind in der psychischen Struktur gewachsen wie Wurzel, Stamm und Äste eines Baumes, der sich zur Seite neigt, da man den fünf Zentimeter hohen Sprössling mit einen faustdicken Stein am geraden Aufwärtsstreben hinderte. Jetzt, nachdem der Baum im Großen diesen Wuchs zur Seite schon hat, dauert es natürlich seine Zeit bis auch auf der anderen Seite des Baumes Zweige nachgewachsen sind und der Baum eine volle Krone entwickelt hat.

 

Übersetzt auf die Psyche heißt das, dass erst mit der Zeit die Angst und der Schutzreflex verschwinden. In der Praxis zeigt sich die Gesundung in der immer leichteren Verfügbarkeit der Erkenntnis, die immer stabiler bleibt.

 

Nach Erlangung der Heilung kann der Reflex bei großer Belastung zwar kurz wieder auftauchen, ist aber leicht und unkompliziert wieder aufhebbar. Sobald der Klient aber begreift, dass er nun frei von den Problemen, ist spürt er staunend Erleichterung, Befreiung und Glück. Energie und Vitalität breiten sich im ganzen Körper aus und verleihen Schwung und Lebensmut.

 

Das ist die Heilung.

 

   

Erläuterungen zum Artikel und zu einzelnen Fachbegriffen, wie sie im Buch verwandt werden.

 

In dieser Arbeit werden Begriffe wie Seele, Psyche, seelische Schutzmechanismen, psychische Abwehr fast synonym verwandt, weil die Unterscheidung fließend ist. Da die innere Welt des Menschen natürlich nicht so klar abgegrenzt und definiert sein kann wie das bei körperlichen Sachverhalten möglich erscheint, obwohl auch im körperlichen Bereich die Übergänge und Zusammenhänge komplex sind.

 

Wäre dar Mensch eine Maschine, wären die Sachverhalte genauer zu benennen. Aber der Mensch ist ein Lebewesen und darum viel komplizierter und auch geheimnisvoller als irgendetwas, was Menschen gebaut haben.

 

Auf Grund dieser komplizierten und vielfältigen Zusammenhänge und Überlappungen habe ich mich auch dazu entschlossen, den Gesamtzusammenhang aus verschiedensten Perspektiven zu beleuchten, sowohl theoretisch als auch an Fallbeispielen, etwas distanziertet und eher grundsätzlich.

 

Denn abwechselnd aus verschiedensten Perspektiven beschrieben, kann der hochkomplexe Zusammenhang von allen möglichen Seiten angeschaut und damit deutlicher werden.